Der Spalt, der zwischen Kriegsbereiten und Friedensbefürwortern entstanden ist, basiert auf einer Fähigkeit, die die einen haben und die anderen nicht: Einfühlungsvermögen.
Der neue britische Premierminister Keir Starmer besuchte letzte Woche das Weiße Haus. Nicht einfach nur so, um sich vorzustellen. Nein, er wollte dem scheidenden US-Präsidenten Joe Biden noch etwas abringen: die Erlaubnis, den Ukrainern den Einsatz britischer Langstreckenraketen auf russischem Boden erlauben zu dürfen. Man sieht an dieser Geschichte ohne viel Fachwissen recht deutlich, wie die Hierarchie im NATO-Westen aufgestellt ist: Die Briten fragen die Amerikaner, die Ukrainer die Briten. Starmers Betreiben wurde in den Medien als Marginalie vorgestellt — häufig fand es nicht mal Erwähnung. Dabei wäre ein Einsatz westlicher Langstreckenraketen in diesem noch beschränkten Krieg der endgültige Kriegseintritt des Westens. Der russische Präsident hat das bereits so formuliert — und in Aussicht gestellt, seine Atomdoktrin zu lockern.
Ein Kommentar von Roberto J. De Lapuente.
Die Gespräche in Washington wären eigentlich eine Topmeldung wert gewesen. Aber in Deutschland kamen sie nur als Meldung unter vielen vor. Ist denn der Versuch, einem dritten Weltkrieg endgültig in die Knobelbecher zu helfen, nicht gar eine Jahrhundertnachricht? Offenbar nicht. Nicht in Deutschland — denn der Frieden bewegt die Menschen ja nicht, wie wir seit dem letzten Wahlabend in Sachsen und Thüringen wissen, als ARD und ZDF unisono behaupteten, dass die Sorgen vor einem sich auswachsenden Krieg das Wahlergebnis auf keinen Fall bestimmt haben. Das wiederholte man so zwanghaft, dass einem schnell dämmerte: Hier wird was kleingeredet, was recht groß im Raum steht.
Was Krieg ist
Während der Bundeskanzler plötzlich für einen Moment wie ein Friedensbringer spricht und Verhandlungen für möglich erklärt, machte sein Verteidigungsminister vor einigen Tagen klar, dass westliche Waffen, die in Moskau einschlagen, völkerrechtlich unbedenklich seien. Über Krieg und die Bereitschaft, endlich auch kriegstüchtig zu sein, sprechen in diesem Lande etliche so, als handle es sich um die profane Frage, ob man nun am kommenden Samstag der Einladung der Nachbarn zum Grillabend folgen soll oder man doch lieber fernbleibt. Das Wort „Krieg“ nehmen viele in den Mund, wie andere das Wort „Sonnenschein“. Zwischen Tür und Angel wird die Kriegsbereitschaft beschworen — ganz lapidar und nebenbei. Als sei es die normalste Sache der Welt.
Der Krieg wird angeführt wie ein steriler Topos, ein Ort, der einer gewissen Kontrolle unterliegt — den man zwar aufgezwungen bekommt, der aber auch wieder vorbeigeht: Dann kämpft man eben. Wenn es sein muss, dann muss es halt sein! Dieser Fatalismus blendet aus, was Krieg im Kern seines Wesens ist. Klar, man kann sich sicher vorstellen, dass man in einem Krieg einige Tote sehen wird. Vielleicht wird jemand, der an meiner Seite kämpft, auch vor meinen eigenen Augen erschossen. Ausschließen kann man das natürlich nicht. Selbst diese Vorstellung ist noch zu steril, zu sauber und hygienisch — wie ein Krimi aus den Fünfzigern, in denen gemeuchelte Leichen seltsam lebendig und frei von Blut drapiert wurden…
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 18. September 2024 bei manowa.news
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Bildquelle: fran_kie / shutterstock
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