Himmelsrichtung des Grauens | Von Roland Rottenfußer

Himmelsrichtung des Grauens | Von Roland Rottenfußer


Über „den Westen“ wird in bestimmten Kreisen nur noch verächtlich gesprochen. Statt andere Weltgegenden zu idealisieren, sollten wir unsere Werte wieder mit Leben erfüllen.
Ein Kommentar von Roland Rottenfußer.
„Abendland, Abendland, ich achte und verachte dich“, sang der österreichische Chansonnier André Heller mit der für ihn typischen brüchigen Stimme. Dabei ist er selbst ein Kind dieser Weltregion. Der Abendländer, das ist jemand geworden, der — wie Friedrich Nietzsche es treffend ausdrückte — „vor sich selbst mit zugehaltener Nase dasteht“. Geradezu mit Ekel im Tonfall wird in sehr vielen Diskursen kritischer Intellektueller „der Westen“ beschrieben. Gemeint sind meist die NATO-Länder und von ihnen beeinflusste Staaten. Aber auch ganz allgemein die Weltregion, in der nach außen hin Werte wie Pluralismus, Liberalismus und parlamentarische Demokratie vertreten werden. Unauflöslich verbunden mit der Vorstellung vom Westen scheinen Bezeichnungen wie „Heuchelei“ und „Überheblichkeit“ zu sein. Der Begriff „Wertewesten“ ist im Grunde zum Running Gag geworden. Diese harsche Selbstkritik hat Gründe: die Geschichte des europäischen Kolonialismus vor allem, mit den bis heute wirksamen Mechanismen struktureller Ausbeutung des globalen Südens. Und das kriegerische Dominanzgebaren der USA sowie ihrer europäischen Vasallenstaaten. Dies, verbunden mit einem missionarischen Anspruch — am westlichen Wesen solle die Welt genesen —, schürt Hass im Osten und Süden. Schwieriger als das Aufspüren von Fehlern der „eigenen“ Region ist es allerdings, wirklich überzeugende Beispiele aufrichtiger Werteorientierung im nicht westlichen Ausland zu finden. Die Idealisierung von Ländern wie Russland, China oder der muslimischen Welt führt in eine Sackgasse, da ihr die teilweise desolate Realität in diesen Weltregionen entgegensteht. Zweifellos wurden „westliche Werte“ von denen, die großsprecherisch mit ihnen hausieren gehen, verraten und bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die Erkenntnis dieses Verrats sollte aber nicht verbunden werden mit der Abwendung von dem, was verraten wurde…
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Bildquelle: Artem Avetisyan/ shutterstock
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