Ein Standpunkt von Felix Feistel.
Bei der Untersuchung des Phänomens totalitärer Bewegungen und Systeme stellt sich immer die Frage, wie diese entstehen können. Wie kann es sein, dass sich die Massen plötzlich in Bewegung versetzen lassen und einer Ideologie hinterherlaufend den gesunden Menschenverstand vollkommen ignorieren? Wie kommt es überhaupt dazu, dass die Notwendigkeit eines Totalitarismus entsteht, eine fast schon zwangsweise Totalitarisierung der Politik? Ist das totalitäre System nicht etwas vollkommen Neues, etwas zuvor nicht da gewesenes? So schreibt es zumindest Hannah Arendt in Anbetracht des Totalitarismus, den sie bezeugen musste.
Doch hier gibt es bei Arendt einige Leerstellen, einige blinde Flecken, die vielleicht den Umständen geschuldet sind, dass sie in der Kriegs- und Nachkriegszeit diese Aspekte überhaupt nicht sichtbar waren. Nun aber, in den letzten Jahren und Jahrzehnten traten sie immer offenkundiger zutage. Denn der Totalitarismus ist nicht plötzlich über die Menschheit gekommen. Vielmehr ist der Totalitarismus schon lange ein Begleiter der Menschheit, und eine treibende Kraft, die Gesellschaften enorm verändert hat, und zwar in Form der Ökonomie, in Form des Kapitalismus. Bei diesem handelt es sich um ein System, das alle Aspekte des Totalitarismus aufweist.
Wie der Totalitarismus stellt der Kapitalismus eine nicht enden wollende Bewegung dar. Er erfordert immer weitere Entwicklung, immer weiteres Voranschreiten, ohne, dass ein Ziel definiert wäre. Die Ziellosigkeit ist ein wesentlicher Aspekt des Totalitarismus. Denn die Bewegung, mit welcher der Totalitarismus voranschreitet, darf nie an ein Ende gelangen. Tut sie das, bricht der Totalitarismus in sich zusammen. Und so erfordert auch der Kapitalismus immer weiteres Wachstum, ohne, dass es ein definiertes Ziel dieses Wachstums gäbe. Denn das Wachstum darf niemals aufhören, es gibt keinen Zustand, bei dessen Erreichen das Wachstum ein Ende finden könnte. Immer neue Anlagemöglichkeiten, Absatzmärkte und Profitsteigerungen müssen daher erzielt werden, jedes Jahr müssen mehr Waren produziert und verkauft, und Dienstleistungen geleistet werden, damit das Bruttoinlandsprodukt (BIP) immer fleißig auf Wachstum steht.
Kann dieses Erfordernis des ewigen Wachstums nicht erfüllt werden, dann bricht der Kapitalismus zumindest lokal in sich zusammen. Es kommt zu einer Rezession, Firmen werden insolvent, Menschen arbeitslos, und die Massen verarmen. Gleichzeitig bieten diese Zeiten des Zusammenbruchs für das global agierende Kapital wieder gute Anlagemöglichkeiten, eine Möglichkeit, die eigenen Monopolstellungen auszubauen. Denn für das Kapital, also jene globalen Megakonzerne, Finanzverwalter und Oligarchen gibt es keine schlechte Krise. Da sie global agieren, können sie die Krise in dem einen Land, oder der einen Region der Welt ausnutzen, um mithilfe ihres Vermögens diese Regionen billig aufzukaufen, den Markt neu zu organisieren, und neue Absatzmöglichkeiten zu schaffen.
Genau das geschah in den letzten beiden Weltkriegen. Diese, angezettelt durch das angloamerikanische Kapital, vernichteten in großem Maßstab Werte, und schufen gleichzeitig neue. Denn Waffen mussten produziert, und dann wieder zerstört werden, und insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg musste Europa wieder aufgebaut werden, was natürlich enorme Gewinne ermöglicht, insbesondere in Form von Unterstützung durch den Marshallplan. Denn dieser zielte hauptsächlich darauf ab, US-amerikanische Firmen und Produkte auf den europäischen Markt zu bringen und diesen Markt in die Lage zu versetzen, sie auch umzusetzen.
Dieses ewige Wachstum findet nur um seiner selbst, also der Bewegung wegen statt. Es erfüllt darüber hinaus kein sinnvolles Ziel, auch wenn häufig eingewendet wird, dass es den Wohlstand der Menschen mehrt. Das ist aber, wenn überhaupt, nur ein Kollateralnutzen, und überdies schon seit Jahrzehnten nicht mehr als pure Ideologie. Denn tatsächlich zerstört der Kapitalismus mit seinem Wachstumszwang den Wohlstand der Menschen, indem in globaler Konkurrenz die Menschen gegeneinander ausgespielt werden, Firmen abwandern, öffentliche Güter privatisiert und verteuert werden. Geld, das in Wartung und Reparaturen fließen müsste, wird nicht zur Verfügung gestellt, da es die Profite der Manager und Anleger schmälern würde, und so verkommt die …
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